Nachwirkungen

 

Wieder wankte und bebte die Halle.

Arutha hielt sich die blutende Seite und lauschte. Es klang wie entfernter Schlachtenlärm, als wären titanische Mächte entfesselt worden. Er ging zu Pug und Macros, neben denen die beiden Magier in schwarzen Roben standen. »Ich bin Prinz Arutha«, sagte er.

Hochopepa und Elgahar stellten sich vor, und Elgahar sagte: »Diese zwei versuchen, eine Macht in ihren Grenzen zu halten. Wir müssen ihnen helfen.« Die beiden Schwarzen Magier legten Macros und Pug die Hände auf die Schultern und schlossen die Augen. Arutha war wieder allein. Er betrachtete die Hülle von Murmandamus, die grotesk verrenkt in der Ecke lag. Er ging hinüber und zog sein Schwert aus dem Schlangenmann. Arutha sah sich die schleimbedeckte Gestalt des Schlangenpriesters an und lachte bitter. Der wiedergeborene Anführer der Moredhel war ein Pantathianer! Alles war nur eine List gewesen - die Jahrhunderte alte Prophezeiung, die Befehlsgewalt über die Moredhel und ihre Verbündeten, die Angriffe auf Armengar und Sethanon. Die Pantathianer hatten die Moredhel unter dem Befehl der Drachenlords einfach ausgenutzt, hatten die Magie der gestohlenen Leben benutzt, um den Stein des Lebens zu erreichen und einzusetzen.

So ironisch konnte einem das Schicksal mitspielen! Arutha erstaunte diese Entdeckung, und müde sah er sich in der Halle um, als könnte er jemanden entdecken, mit dem er dieses neuenthüllte Wissen teilen konnte. Plötzlich riß die Wand mit der kleinen Tür auf, und Gold, Edelsteine und andere Schätze ergossen sich über den Boden. Vollkommen erschöpft wunderte sich Arutha kaum mehr darüber, wie das geschehen konnte, obwohl er kein Geräusch des brechenden Mauerwerks gehört hatte.

Arutha ließ die Schwertspitze sinken, wandte sich um und ging zu den Magiern zurück. Da er keinen Ausgang aus dem Gewölbe wußte, setzte er sich auf das Podest und betrachtete die vier regungslosen Zauberer, die Hand in Hand dastanden. Er untersuchte seine Wunde und stellte fest, daß der Blutfuß nachgelassen hatte. Die Verletzung war schmerzhaft, doch nicht ernst. Er lehnte sich zurück, machte es sich so bequem wie möglich und konnte nichts anderes mehr tun als abwarten.

 

Das Mauerwerk wurde zu Staub zermalmt, als Ryaths Schwanz durch die Halle fegte. Sie schrie vor Schmerz und Wut, während sie ihre Magie gegen den Schreckenslord richtete und ihre Krallen und Zähne zupackten. Doch der Schreckenslord erwies sich als mächtiger Gegner, und der Drache mußte einiges hinnehmen.

Tomas schlug zu; er hielt sich stets zwischen dem Stein des Lebens und Draken-Korin. Der Valheru war fauchend auf ihn losgegangen wie der Tiger auf seinem Wappen. Tomas hatte eine solch wilde Wut nicht mehr erlebt, seit er im Spaltkrieg dem Wahnsinn verfallen war. Allerdings war er ein erfahrener Krieger und behielt einen klaren Verstand.

Draken-Korin schrie: »Du kannst dich nicht gegen uns stellen, Ashen-Shugar! Wir sind die Herren der Welt. Wir müssen zurückkommen.«

Tomas parierte und holte aus. Ein Schauer von Funken spritzte, als seine Klinge auf die Rüstung von Draken-Korin traf und den Wappenrock zerfetzte. Er schrie: »Du bist nur ein verfaulter Überrest eines früheren Zeitalters! Du bist ein Wesen, welches nicht einsehen will, daß es tot ist. Du würdest alle vernichten, nur um einen Planeten ohne Leben zu erobern.«

Draken-Korin holte weit aus und zielte auf Tomas' Kopf, doch der duckte sich, stach zu, und die Spitze seines Schwerts traf den Valheru in den Bauch. Draken-Korin taumelte zurück, und Tomas sprang auf ihn zu wie eine Katze auf eine Ratte. Hieb auf Hieb ging auf den Herrn der Tiger nieder, und langsam erlangte Tomas die Oberhand.

»Wir werden uns nicht fortjagen lassen«, kreischte Draken-Korin, und mit doppelter Wut trieb er Tomas wieder zurück. Im nächsten Augenblick glitzerte es an der Stelle, wo Draken-Korin gestanden hatte, und Tomas hatte Alma-Lodaka vor sich, deren Angriff nicht weniger heftig war. »Du unterschätzt uns, Vater-Mann. Wir sind alle Valheru zusammen, und du bist nur einer.« Dann verwandelten sich ihr Gesicht und Körper, und ein weiterer und noch ein Valheru standen Tomas gegenüber. In rascher Folge erschienen nacheinander die nebelhaften Gesichter aller Valheru vor Tomas. Dann war Draken-Korin wieder da: »Du siehst, wir sind viele, eine ganze Legion. Wir sind die Macht.«

»Du bist der Tod und das Böse, und du bist gleichzeitig auch der Vater der Lügen«, entgegnete Tomas geringschätzig. Er schlug zu, und Draken-Korin parierte. »Besäßest du die Macht unseres ganzen Geschlechts, hättest du mich in einem einzigen Augenblick niedergeschmettert. Du magst deine Gestalt verwandeln können, doch ich weiß, du bist ganz allem hier, nur ein kleiner Teil des Ganzen, und du bist nur durchgeschlüpft, weil du mit Hilfe des Steins des Lebens ein Portal für das Drachenheer öffnen willst.«

Draken-Korins einzige Antwort war ein erneuter Angriff. Tomas parierte die schwarze Klinge mit seiner goldenen und schlug sie zur Seite. Am anderen Ende der Halle näherte sich der Kampf zwischen dem Drachen und dem Schreckenslord anscheinend seinem Ende, der Kampflärm wurde schwächer. In dem Moment spürte Tomas, wie sich von hinten etwas Grauenhaftes näherte.

Er wußte, Ryath war gefallen. Als Ashen-Shugar hatte er dem Schreckenslord früher schon gegenübergestanden, und er hätte diesen eigentlich nicht gefürchtet. Doch wenn er ihm nun entgegentrat, hätte Draken-Korin freie Hand, und kümmerte er sich nicht um ihn, würde er dem Schreckenslord die Möglichkeit geben, ihn anzugreifen.

Tomas wehrte Draken-Korins nächsten Schlag ab, sprang unerwartet vor und versuchte einen Hieb. Die schwarze Klinge fuhr nach vorne, prallte aber von dem Kettenhemd unter dem weißen Wappenrock ab. Tomas biß die Zähne aufeinander, als die schwarze Klinge durch die goldenen Ringe der Rüstung schnitt und ihn in der Seite traf, doch er packte Draken-Korins Arm. Mit einer schwungvollen Drehung vertauschte er ihre Plätze und schob den Herrn der Tiger dem Schreckenslord direkt in den Weg.

Der Schreckenslord wollte innehalten, doch der Drache hatte seinen Tribut gefordert, ehe er unterlegen war, und das Wesen des Grauens war verletzt und benebelt. Sein Schlag traf Draken-Korin von hinten und betäubte ihn. Draken-Korin schrie in Todesangst auf, denn er hatte keinen Schutz gegen die Leben aufsaugende Berührung des Schreckenslords aufgebaut.

Tomas schlug zu und riß dem schwarz-orangenen Valheru eine klaffende Wunde in den Leib, was diesen noch mehr schwächte. Draken-Korin stolperte und fiel abermals gegen den Schreckenslord, der ihn zur Seite schob. Dieser unabsichtliche Stoß schleuderte Draken-Korin auf den Stein des Lebens zu.

»Nein!« schrie Tomas und sprang vor. Der Schreckenslord packte zu und hielt Tomas einen Moment lang fest. Schmerz flutete durch Tomas' Körper, und er schlug mit dem Schwert. Die Berührung rief einen zischenden Funkenschauer an der Stelle hervor, wo er die nachtschwarze Kreatur getroffen hatte. Sie schrie auf und ließ los. Schnell trieb Tomas der unlebenden Kreatur die Klinge ins Herz, eine fast tödliche Wunde, die den Schreckenslord zurücktaumeln ließ. Tomas fuhr zu Draken-Korin herum, der mit allen Mitteln sein Ziel zu erreichen suchte.

Der Valheru stolperte auf den Stein des Lebens zu, als wollte er ihn umarmen. Er lachte, obwohl er spürte, wie die Kraft aus ihm herausgesaugt wurde, denn er hatte noch genügend Zeit für einen Zauber, der seinem Geschlecht ein Tor öffnen würde, durch das es in die Welt ihrer Schöpfung zurückkehren könnte. Er würde wieder genesen.

Mit einem gewaltigen Satz sprang Tomas auf ihn zu, und das Schwert in beiden Händen, die Spitze nach unten, legte er seine ganze verbliebene Kraft in diesen einen Stoß. Draken-Korin brüllte ohrenbetäubend und krümmte sich. Das Schwert durchbohrte ihn und drang in den Stein des Lebens ein.

Dann kam Wind auf. Von irgendwoher erhob sich ein drängender Luftstrom und blies aus allen Richtungen in den Stein des Lebens. Der tödlich verletzte Schreckenslord erbebte, als ihn der Wind berührte. Plötzlich löste er sich in Rauch auf und wurde von dem Luftstrom in den Stein gesaugt. Der Körper des Herrn der Tiger erzitterte und wurde brutal geschüttelt, als von Tomas' magischer Klinge ein goldenes Glühen ausging und Draken-Korin einhüllte. Der goldene Schrein begann zu flackern, und Draken-Korin löste sich ebenso wie der Schreckenslord auf und verschwand im Stein des Lebens.

 

Pug taumelte, als hätte ihn jemand gestoßen; der Spalt wurde aufgerissen, doch nicht von außen. Eine riesige Hand schien ausgestreckt worden zu sein, schien seine magische Barriere zur Seite gedrückt und etwas durch den Spalt nach innen gezogen zu haben. Pug fühlte Macros' Gedanken und spürte, daß auch Hochopepa und Elgahar da waren. Dann explodierte der Spalt nach innen, und sie wurden in ihren normalen Zustand versetzt.

Der Raum um Tomas herum verwandelte sich. Plötzlich waren Macros, Pug, zwei Männer in schwarzen Roben und Arutha zugegen.

Er sah sich um und entdeckte Ryath, die zusammengekrümmt in der Ecke lag und von rauchenden Wunden bedeckt war. Der Drache schien tot zu sein, oder falls er noch lebte, dann nur für kurze Zeit. Ryath war dem Schicksal, welches sie vorhergesagt hatte, nicht entgangen, und Tomas schwor, daß sie niemals in Vergessenheit geraten sollte. Hinter ihrem daliegenden Körper war die Schatzkammer der Valheru beim Kampf zwischen Drachen und Schreckenslord aufgebrochen, und ihr Inhalt - Gold und Edelsteine, Bücher und Reliquien - hatte sich über den Fußboden ergossen.

Arutha sprang auf die Beine und fragte: »Was ist geschehen?«

»Ich glaube, es ist fast vorüber«, sagte Tomas und sprang von dem Podest.

Macros taumelte, und Pug und die anderen bewegten sich, während das Kreischen des Windes zunahm und schmerzhaft in ihren Ohren heulte. Dann hielten sich alle die Ohren zu, als eine gewaltige Erschütterung das gesamte Dach der Halle aufriß und die Keller und unteren Stockwerke der Gebäude darüber zerstörte. Steine und Ziegelwerk, die Überreste zweier Gebäude, wurden hoch in die Luft geschleudert und über der ganzen Stadt verstreut. Weit über ihnen öffnete sich im blauen Himmel ein graues Nichts. Und mitten darin sahen sie ein in vielen Farben loderndes Feuer.

Pug, Hochopepa und Elgahar hatten das alles schon einmal erlebt, als sie vor langer Zeit in der Stadt der Magier auf dem Turm der Prüfung gestanden hatten. Es war die Vision des Feindes, wie sie ihn zur Zeit der goldenen Brücke gesehen hatten, als die Völker während der Chaoskriege nach Kelewan geflohen waren. »Es kommt durch!« schrie Hochopepa.

Macros schrie durch das schreckliche Heulen hindurch: »Der Stein des Lebens! Er ist ins Leben gerufen worden.«

Pug sah sich verwirrt um. »Aber wir leben noch!«

Tomas zeigte dorthin, wo sein goldenes Schwert immer noch aufrecht im Stein des Lebens steckte. »Ich habe Draken-Korin getötet, bevor er sein Werk zu Ende bringen konnte. Der Stein ist nur teilweise ins Leben gerufen worden.«

»Was wird jetzt geschehen?« schrie Pug durch den ohrenbetäubenden Lärm.

»Ich weiß es nicht.« Auch Macros hielt sich jetzt, wie die anderen, die Ohren zu. Aus voller Brust schrie er: »Wir müssen eine Barriere errichten!«

Sofort wußte Pug, was sie zu tun hatten, und er begann, jenen Zauber zu wirken, der sie vor der Vernichtung bewahren würde. »Hocho, Elgahar, helft mir.«

Er beschwor den Zauber, der eine schützende Barriere um sie legen würde. Das Heulen wurde schriller und schriller, und Arutha merkte, daß die Hände über seinen Ohren es nicht mehr dämpfen konnten; vor Schmerz biß er die Zähne aufeinander und wehrte sich gegen den Drang zu schreien, wobei er sich fragte, ob die Magier ihre Beschwörung zu Ende bringen konnten. Das Licht des Steins des Lebens wurde heller und heller bis zu einem grellblendenden, reinen Weiß mit silbernen Flämmchen an den Rändern. Der Stein stand kurz davor, eine fürchterliche Kraft der Zerstörung freizusetzen. Vor Erschöpfung fühlten sich die Glieder des Prinzen halb taub an. Dann konnte er den Schmerz nicht länger aushalten, und er schrie ...

... während Pug den Zauberspruch beendete und der Raum explodierte.

 

Der Boden zitterte wie bei einem Erdbeben, und Guy wandte sich um und betrachtete die Stadt. Die Soldaten aus Shamata, Landreth und die Tsurani flohen Seite an Seite mit denen von Sethanon und Hohe Burg. Zwischen ihnen rannten Goblins und Trolle und einige zurückgebliebene Dunkle Brüder, doch der Kampf war vergessen: Alle flohen nur noch vor der drohenden Dunkelheit, diesem Grauen, das jede Kreatur bis in die letzte Faser ihres Dasein spürte. Schwarze Gefühle, dunkler Schrecken und Verzweiflung hatten jedes Lebewesen ergriffen und den Drang zu kämpfen beiseite gedrängt. Jeder wollte nur noch so viel Distanz wie möglich zwischen sich und die Quelle dieser entsetzlichen Angst bringen.

Dann erhob sich ein grollendes, betäubendes Knirschen. Alle, die sich in Hörweite dieses Geräusches aufhielten, fielen auf die Knie. Männer übergaben sich, weil ihre Mägen die Störung des Gleichgewichtssinnes nicht ertragen konnten, die sie ergriff - als hätte sich die Kraft, welche sie aufrecht und am Boden hielt, plötzlich in Nichts aufgelöst. Augen begannen zu tränen, Ohren schmerzten, während sie alle in die Luft gehoben zu werden schienen. Es war, als würden sie für einen Moment schweben, und schließlich wie von einer riesigen Hand zu Boden geworfen. Und dann folgte die Explosion.

Jeder, der sich gerade auf die Beine gekämpft hatte, wurde abermals zu Boden geschleudert. Ein unermeßlich grelles Licht erstrahlte aus der Mitte der Stadt nach oben, als wäre die Sonne explodiert. Steine, Erde und Holz wurden himmelwärts geschleudert. Hoch über Sethanon schwebte ein roter Funke, ein blendendes Licht, das sich bald in einen Punkt von grauem Nichts verwandelte. Eine unerwartete Stille folgte, während Kraftwirbel in diesem Grau tanzten. Der Himmel schien aufgerissen worden zu sein, die Ränder dieses Risses waren zur Seite gezogen worden und enthüllten den Blick in ein anderes Universum. Die herabstürzenden Farben waren die Macht, die Kraft, das wahre Leben der Drachenlords, und sie flimmerten und drängten vorwärts und wollten die letzte Barriere zwischen sich und ihrem großen Ziel überwinden. Und dann kam der Ton.

Der Ton einer silbernen Trompete erscholl mit unglaublicher Lautstärke und erschütterte Meilen um die Stadt jedes Lebewesen, als würde ein Wind aus Nadeln durch ihre Körper wehen. Die Todesangst, die endgültig niedergeschlagene Hoffnung überwältigte sie alle. Wieder machte sich in jedem Wesen die Verzweiflung breit, und plötzlich wußten alle: ihr Leben war untrennbar mit dem verbunden, was sich hier vor ihren Augen abspielte. Panik erfüllte die Beobachter, selbst die kampferprobtesten Soldaten. Bis zum letzten Mann fingen sie an zu schluchzen, denn alle sahen ihren letzten Moment gekommen. Und dann hörte der Lärm auf.

In dieser unheimlichen Stille formte sich etwas in den lodernden Farben des Himmels. Das graue Nichts hatte sich ausgebreitet, bis es den ganzen Himmel überdeckte, und in der Mitte dieses wahnsinnigen Anblicks erschien der Feind. Zuerst waren nur matte, flackernde Farbflecken zu sehen, als er sich durch die Lücke zwischen den Welten schob. Doch dann drang er ein, und alles löste sich in kleinere Punkte von helleren Farben auf, eine Energie, die sich zu festen Formen verhärten wollte. Bald konnten die am Boden menschenähnliche Kreaturen erkennen, die auf dem Rücken von Drachen in der Mitte des Spaltes schwebten. Mit einer Explosion, die alle vorherigen an Wucht noch übertraf, sprang das Drachenheer durch den Spalt in den Himmel und donnerte in die Welt seiner Schöpfung hinein. Hunderte von Wesen, jedes auf magische Weise mit dem anderen verbunden, drangen durch den Spalt und schrieen ihren Schlachtruf. Sie waren Wesen von schauerlicher Schönheit, erstaunlicher Macht, in Rüstungen von hellen Farben und prachtvollen Formen, und sie ritten auf den Rücken ihrer uralten Drachen, diesen unglaublichen Bestien, die Midkemia in einem lange vergangenen Zeitalter verlassen hatten und nun mit ihren gewaltigen Flügeln durch den Himmel flogen. Große schwarze, grüne und blaue Drachen, die auf ihrer Heimatwelt längst ausgestorben waren, erhoben sich neben goldenen und bronzenen, deren Nachkommen auch dort noch immer am Leben waren. Rote glitten neben silbernen Drachen dahin, die man in Midkemia seit Menschengedenken nicht mehr erblickt hatte. In den Gesichtern der Valheru spiegelte sich die Freude wider, weil sie den Moment des Sieges ausgenutzt hatten, und sie kosteten ihn genüßlich aus. Jeder schien unendliche Kraft zu besitzen, jeder war der unumschränkte Herrscher dessen, was ihm gehörte. Sie waren die Macht. Als sie am Himmel auftauchten, verspürte jedes andere Lebewesen einen kaum auszuhaltenden Schmerz, als würde ihm das Leben ausgesaugt.

Dann, in der Sekunde des schlimmsten Schreckens, als alle Hoffnung vergeblich zu sein schien, erhob sich eine andere Macht. Von tief unten, aus dem Krater unter der Festung, drängte eine Welle der Energie nach oben, wirbelte konfus herum und sprang über die Dächer. Die Energie tanzte eine wilde Pirouette, bis grünes Feuer heraussprühte und sich in weiter werdenden Kreisen ausbreitete. Mit einem dumpfen Knall, der zwar laut war, doch nicht in den Ohren schmerzte, wurde eine riesige Staubwolke in den Himmel geschleudert, und aller Lärm verstummte.

Etwas hielt dem Chaos im Himmel stand. Man konnte es nicht sehen, doch deutlich spüren, etwas von titanischen Ausmaßen, etwas, das diese völlige Verzweiflung, die alle noch Augenblicke zuvor verspürt hatten, zurückwies. Als hätten sich die Liebe und die Wunder der Schöpfung gemeinsam erhoben, traten sie dem Drachenheer entgegen und forderten es heraus. Ein grünes Licht, so gleißend wie das rote zuvor, schoß aus dem Krater hervor und prallte gegen den Spalt. Diejenigen an der Spitze des Drachenheeres wurden von dem grünen Licht eingehüllt, und sobald einer der Valheru berührt worden war, verlor er seine Substanz und wurde zum Gespenst einer vergangenen Epoche, zum Schatten eines früheren Zeitalters. Die Drachenlords wurden zu Wolken aus buntem Rauch, zu Wesen aus Nebel, zu Erinnerung. Sie zitterten und tanzten, wurden von einer Macht, die ihnen mit gleicher Stärke entgegentrat, in den Bann geschlagen, bis sie plötzlich wie von einem nicht zu widerstehenden Wind nach unten gezogen wurden. Die reiterlosen Drachen schrieen und drehten sich im Kreise, flogen zornig vor dem Wind davon, frei aller Befehle ihrer Meister. Sie trieben in alle Richtungen auseinander. Unter jenen, die in entsetztem Erstaunen all das mitansahen, erbebte die Erde, und das Heulen des Windes war sowohl furchterregend als auch wunderschön anzuhören; hatten die Götter selbst ein Lied des Todes gesungen? Und endlich schloß sich der Riß im Himmel innerhalb eines einzigen Augenblicks, und kein Zeichen erinnerte daran, daß er jemals da gewesen war. Der Wind legte sich.

Und die Stille war betäubend.

Jimmy sah sich um. Er merkte, wie er weinte, dann lachte er und weinte schließlich wieder. Der Schrecken und der Schmerz, beide waren verschwunden. Plötzlich fühlte er sich selbst bis in die ganze Tiefe seines Wesens. Er fühlte sich mit allen anderen Lebewesen auf diesem Planeten verbunden. Er fühlte, wie sein Wesen mit Leben und mit Liebe erfüllt war. Und er wußte, sie hatten schließlich doch gewonnen. Irgendwie waren die Valheru im Augenblick ihres Triumphes überwunden und geschlagen worden. Der junge Junker stand auf wackeligen Beinen und lachte vor Freude, während ihm die Tränen übers Gesicht rannen. Er fand sich in den Armen eines Tsurani-Soldaten wieder, der genau wie er gleichzeitig lachte und weinte.

Guy wurde abermals auf die Füße geholfen, und er betrachtete die Szene um sich herum. Goblins, Trolle, Dunkle Brüder und gelegentlich sogar ein Riese taumelten in Richtung Norden, doch keiner von ihnen wurde gejagt. Die Soldaten des Königreichs und die Tsurani genossen einfach nur den Anblick der Stadt, denn über Sethanon glühte eine Kuppel grünen Lichtes, so hell, daß sie selbst im Sonnenlicht eines klaren Herbsttages deutlich zu sehen war, und so schön, daß es jeden überwältigte. Ein Lied der Freude erklang in den Herzen aller, die die Kuppel betrachteten, ein Lied, welches sie eher fühlen als hören konnten. Überall weinten Männer, ohne es verbergen zu wollen, während sie diese Vollkommenheit betrachteten, die sie mit einer Freude jenseits jeder Beschreibung erfüllte. Die grüne Kuppel schien zu flackern, doch das konnte auch von dem Staub herrühren, der in Wolken herabschwebte. Guy konnte sein eines Auge nicht davon abwenden. Selbst die Goblins und Trolle, die an ihm vorbeistapften, waren anders: Keinen schien es mehr nach einem Kampf zu verlangen.

Guy seufzte und spürte, wie die Freude langsam dahinschwand, und er wußte, in seinem Leben würde er so eine vollkommene Freude, eine solch wundersame Verzückung, nicht noch einmal erleben. Armand de Sevigny eilte auf seinen alten Verbündeten zu, und Martin und ein Zwerg folgten ihm auf den Fersen. »Guy!« sagte er und nahm den Platz eines der Tsurani ein, die seinen Freund und früheren Kommandanten aufrecht hielten, während der ihn heftig knuffte. Beide Männer wankten, einander in den Armen liegend, hin und her, lachten und weinten.

Leise sagte Guy du Bas-Tyra: »Irgendwie haben wir gewonnen.«

Armand nickte, dann fragte er: »Arutha?«

Guy schüttelte traurig den Kopf. »Dort unten kann nichts überlebt haben. Nichts.«

Martin und Dolgan traten an der Spitze eines Haufen Zwergenkrieger dazu. Der König der Zwerge des Westens stellte sich neben Guy und Armand. Leise sagte er: »Was für ein Ding von schrecklicher und endgültiger Schönheit.« Jetzt schien die Lichtkuppel die Gestalt eines riesigen sechseckigen Edelsteins anzunehmen. Jede Facette glühte hell, doch ein wenig unterschiedlich, was der Kuppel ein Funkeln verlieh. Das Gefühl der Vollkommenheit ließ nach, und damit auch die wogende Freude, doch immer noch konnten sie das stille Wunder fühlen.

Martin riß seine Augen von dem Anblick los und fragte: »Arutha?«

Guy sagte: »Er ist darin mit drei Männern verschwunden, die auf dem Rücken eines Drachen angeflogen kamen. Der Elb kennt ihre Namen.«

Während die Erscheinung vor ihnen zu flackern begann, richtete Guy seine Aufmerksamkeit wieder auf weltliche Belange. »Götter, was für eine Bescherung. Martin, Ihr solltet lieber ein paar Männer losschicken, die diese Dunklen Brüder nach Hause jagen, bevor sie sich neu formieren und nochmals angreifen.«

Dolgan holte in aller Ruhe eine Pfeife aus seiner Tasche am Gürtel. »Meine Jungs haben sich schon auf den Weg gemacht, doch ein wenig Gesellschaft wird sie nicht stören. Obwohl ich kaum glaube, daß die Moredhel und ihre Diener noch besonders zur Flucht gedrängt werden müssen. Um die Wahrheit zu sagen, heute wird wohl kaum noch jemand Lust auf einen Kampf verspüren.«

Dann hoben sich mit einem Mal die Silhouetten von sechs Männern gegen die glühende, grüne Kuppel ab, die halb hinkend, halb gehend durch den Staub auf sie zukamen. Martin und die anderen schwiegen, während die sechs sich näherten. Sie waren kaum zu erkennen, so dick waren sie mit Staub bedeckt. Als sie die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, rief Martin: »Arutha!«

Sofort eilten Männer voran und halfen Arutha und seinen Gefährten. Auf jeden von ihnen stürzte sich ein Paar Soldaten, die ihnen Hilfe anboten, doch Arutha blieb einfach stehen und umarmte seinen Bruder. Martin legte seinem Bruder den Arm um die Schulter und weinte vor Erleichterung, als er ihn lebend wiedersah. Nach einer Weile lösten sich die beiden voneinander und betrachteten die glühende Kuppel über der Stadt.

Noch einmal erneuerte sich das Gefühl von Liebe und Harmonie mit allem Leben, ein wunderbares Gefühl einzigartiger Vollkommenheit. Dann verschwand es.

Das grüne Licht der Kuppel verblaßte, und der Staub begann sich zu senken.

Macros krächzte heiser: »Endlich ist es vorbei.«

 

Lyam schritt durch das Lager und inspizierte die Reste seiner Truppen von Sethanon und Hohe Burg. Arutha ging an seiner Seite, immer noch vom Kampf erschöpft. Der König sagte: »Die Geschichte ist erstaunlich. Ich kann sie wirklich nur deshalb glauben, weil ich die Beweise hier mit eigenen Augen sehe.«

Arutha sagte: »Ich habe sie selbst erlebt, und kann sie trotzdem kaum glauben.«

Lyam sah sich um. »Dennoch, nach allem, was du mir erzählt hast, können wir uns glücklich schätzen, daß wir uns überhaupt Wiedersehen dürfen. Ich denke, wir müssen sehr dankbar sein.« Er seufzte. »Weißt du, als wir noch Kinder waren, hatte ich geschworen, es wäre eine großartige Sache, König zu sein.« Er sah Arutha nachdenklich an. »Genauso, wie ich geschworen hätte, ich wäre so gerissen wie du und Martin.« Mit einem kläglichen Lächeln fügte er hinzu: »Aber das bin ich wohl nicht, sonst hätte ich die Krone wie Martin abgelehnt.

Nichts als Ärger hat man. Jetzt schleicht auch noch Hazara-Khan hier herum und plaudert mit diesem oder jenem Adligen, wobei er jede Menge Staatsgeheimnisse herausbekommt, als sammle er Muscheln am Strand auf. Und wo nun der Spalt abermals geöffnet ist, muß ich mich wieder mit dem Kaiser auseinandersetzen und verhandeln, ob wir nicht Gefangene austauschen können. Dabei haben wir nicht einmal Gefangene, denn wir haben ihnen allen die Freiheit geschenkt, und Kasumi und Hokanu werden mir möglicherweise sagen, daß ich die unsrigen zurückkaufen muß, und dazu müßte ich die Steuern erhöhen.

Dann fliegen hier jetzt plötzlich auch noch Hunderte von Drachen herum, und einige von ihnen wurden seit Jahrhunderten nicht mehr auf dieser Welt gesehen, und diese Bestien werden landen, wo immer sie wollen - und sie werden Hunger haben. Dazu noch das Problem mit dieser Stadt, die vollkommen in Schutt und Asche liegt -«

Arutha sagte: »Denk doch nur, was sonst gewesen wäre.«

»Und als wäre das noch nicht genug, hast du mir noch du Bas-Tyra übergeben, und zwar mit den Worten, er sei ein Held. Die Hälfte der Lords wird von mir erwarten, daß ich den höchsten Baum im Königreich suche und ihn daran aufhänge, und die andere Hälfte wird mich an diesem Baum aufknüpfen, wenn Guy ihnen das befiehlt.« Er betrachtete seinen Bruder zweifelnd. »Ich glaube, ich hätte gleich schalten müssen, als Martin die Krone nicht wollte, und sie besser an dich weitergeben sollen. Wenn ich eine anständige Pension bekomme, wäre ich dazu immer noch bereit.« Arutha machte eine böse Miene, als sein Bruder ihm noch mehr Verantwortung aufdrängen wollte. Lyam sah sich um, denn er hörte, wie Martin ihm einen Gruß zurief. »Nun ja«, meinte der König zu Arutha, »ich glaube, ich weiß letztlich doch, was ich zu tun habe.« Lyam winkte Martin zu, und der eilte herbei. »Hast du sie gefunden?«

Der Herzog von Crydee grinste. »Ja, sie war bei einer Hilfstruppe aus Tyr-Sog, und sie ist einen halben Tag hinter mir her marschiert, bei denen, die mit Kasumis Leuten aus LaMut und Dolgans Zwergen kamen.«

Lyam hatte sich seit seiner Ankunft anderthalb Tage lang zusammen mit Arutha den Schauplatz der Schlacht angesehen. Seine Armee hatte das Schlachtfeld als letzte erreicht, da die Winde zwischen Rillanon und Salador ungünstig gestanden hatten. Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter, dorthin, wo die Edlen des Königreiches ihr Lager in der Nähe seines Pavillons aufgeschlagen hatten. »Gut«, sagte er, »sie wollen unbedingt wissen, was wir jetzt machen.«

»Hast du dich schon entschieden?« fragte Arutha Martin. Der Prinz hatte die ganze Nacht mit Lyam, Pug, Tomas, Macros und Laurie Rat gehalten, während Martin das Lager nach Briana durchkämmt hatte. Sie hatten viele Angelegenheiten zu besprechen gehabt, jetzt, nachdem der Schrecken des Murmandamus abgewendet worden war.

Martin sah überglücklich aus. »Ja, wir werden so schnell als möglich heiraten. Wenn es hier irgendwo noch einen Priester gibt, dann morgen.«

Lyam sagte: »Ich glaube, du solltest deine Leidenschaft noch so lange im Zaum halten, bis eine standesgemäße Hochzeit ausgerichtet werden kann.« Martin verzog das Gesicht; das gefiel ihm ganz und gar nicht. Lyam brach in Gelächter aus. »Zum Teufel, nun siehst du genauso aus wie er«, sagte er und zeigte auf Arutha. Den König ergriff plötzlich ein tiefes Gefühl für seine beiden Brüder, und er legte ihnen die Arme auf die Schultern. Während er sie fest an sich drückte, sagte er mit rauher Stimme: »Ich bin so stolz auf euch beide. Und ich weiß, Vater wäre es auch.« Einen Moment lang lagen sich die drei in den Armen. Dann meinte Lyam mit festerer Stimme: »Kommt, wollen wir mal die Ordnung im Königreich wiederherstellen. Und danach gibt es eine richtige Feier. Verdammt, wenn wir keinen Grund zum Feiern haben, wer sonst?« Er gab beiden einen freundschaftlichen Stoß, und lachend machten sie sich zu seinem Pavillon auf.

Pug sah, wie Lyam und seine Brüder eintraten. Macros hatte sich neben Kulgan auf seinen Stock gestützt, und die anderen Magier aus Stardock und der Versammlung drängten sich hinter den beiden. Katala hing an ihrem Ehemann, als wollte sie ihn nie wieder loslassen, während William und Gamina sich an seiner Robe festhielten. Er strich dem Mädchen durchs Haar - der Gedanke, daß er in seiner Abwesenheit eine Tochter dazubekommen hatte, gefiel ihm.

An der Seite sprach Kasumi leise mit seinem jüngeren Bruder. Zum ersten Mal seit drei Jahren standen sie sich gegenüber. Hokanu und die dem Kaiser am treuesten ergebenen Soldaten waren den Schwarzen Roben der Versammlung zur Seite gestellt worden. Mit den beiden Brüdern vom Clan der Shinzawai hatte sich Lyam schon früher am Tag unterhalten, denn der neuerliche Spalt zwischen den Welten hatte einige ungeklärte Fragen aufgeworfen.

Laurie und Baru traten zu Martin, der Briana den Arm um die Taille gelegt hatte. Hinter ihnen lehnte der rothaarige Krieger Shigga auf seiner Lanze und beobachtete schweigend die Vorgänge, obwohl er kein Wort von dem verstand, was gesagt wurde. Laurie und Baru waren mit Briana und anderen Flüchtlingen aus Armengar gekommen und mit der Armee von Yabon unter Vandros' Kommando marschiert. Die meisten der armengarischen Soldaten jagten draußen mit den Zwergen die Reste von Murmandamus' Heer in den Norden. Neben Laurie und Baru standen Dolgan und Galain. Der Zwerg schien nicht einen Tag gealtert zu sein, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Und nur am Hammer des Tholin, der an seinem Gürtel hing, konnte man erkennen, daß er die Königswürde angenommen hatte. Ansonsten sah er noch genauso aus, wie Pug ihn aus der Zeit kannte, als sie sich gemeinsam durch die Minen unter den Grauen Türmen geschlagen hatten. Dolgan erspähte Pug auf der anderen Seite des Zeltes, winkte ihm zu und lächelte.

Lyam hob die Hand. »Viele Dinge sind uns seit unserer Ankunft zugetragen worden, wundersame Geschichten von Tapferkeit und von Heldentum, von Pflichterfüllung und von Aufopferung. Wir haben mit vielen von Euch gesprochen und gute Ratschläge erhalten, und nun wollen wir einige Beschlüsse bekanntgeben. Zum ersten: Obwohl das Volk der Stadt Armengar unserem Volke gänzlich unbekannt war, sind sie doch Brüder der Menschen von Yabon. Wir heißen sie also willkommen und bieten ihnen einen Platz an der Seite ihrer Brüder. Sie mögen sich von nun an zu den Bürgern des Königreichs zählen. Wenn jemand von ihnen in den Norden zurückkehren und das Land dort oben wieder besiedeln möchte, werden wir ihm, soweit es uns möglich ist, dabei zur Seite stehen, doch wir hoffen, daß sie bei uns bleiben.

Zum zweiten möchten wir König Dolgan und seinen Gefolgsleuten für ihre rechtzeitige Hilfe unseren tiefsten Dank darbringen. Desweiteren soll bekannt werden, daß der Prinz von Krondor sowie die Herzöge von Crydee und Salador dem Königreich über alle Maßen hinaus treu gedient haben. Die Krone steht tief in ihrer Schuld. Kein König könnte von seinen Untertanen jemals das verlangen, was sie aus freien Stücken gegeben haben.« Der König bot einen nie zuvor gesehenen Anblick, als er die Hochrufe für Arutha, Laurie und Martin dirigierte. Der Pavillon hallte vom Jubel der versammelten Adligen wieder. »Nun laßt Graf Kasumi von LaMut und seinen Bruder, Hokanu von den Shinzawai, vortreten.«

Als die beiden Tsurani vor ihm standen, sagte Lyam: »Kasumi, gebt Folgendes zunächst an Euren Bruder und durch ihn an den Kaiser und seine Soldaten weiter: Unsterblich wird unser Dank sein für die großzügige und tapfere Hilfe bei der Rettung dieses Reiches vor dem sicheren Untergang.« Kasumi übersetzte seinem Bruder, was der König gesagt hatte.

Pug spürte eine Hand auf seiner Schulter, drehte sich um und sah Macros hinter sich, der ihm mit dem Kopf ein Zeichen gab. Pug küßte Katala und flüsterte: »Ich bin sofort zurück.«

Katala nickte und nahm die Kinder an die Hand. Diesmal wußte sie, Pug sagte es nicht nur so dahin. Sie sah zu, wie Macros Pug und Tomas ein wenig zur Seite nahm.

Lyam sagte: »Nun, wo der Weg wieder offen ist, wollen wir den Soldaten von LaMut die Rückkehr in ihre Heimat nicht versagen und entlassen jeden von ihnen, der es wünscht, aus seinem Lehnseid.«

Kasumi verneigte den Kopf: »Mein Herr, ich bin erfreut, Euch mitteilen zu können, daß sich die meisten unserer Männer dazu entschlossen haben, hier zu bleiben, denn von Eurer Großzügigkeit überwältigt, betrachten sie sich nunmehr als Männer des Königreiches, die ihre Frauen, Familien und Bande hier haben. Und auch ich werde das Königreich nicht verlassen.«

»Das gefallt uns sehr, Kasumi. Wirklich sehr.«

Die beiden Tsurani zogen sich zurück, und Lyam sagte: »Nun laßt Armand de Sevigny, Baldwin de la Troville und Anthony du Masigny vortreten.«

Die drei Männer kamen nach vorn und verbeugten sich.

Lyam sagte: »Kniet nieder.«

»Anthony du Masigny, hiermit erhaltet Ihr sowohl Euren Titel als auch Eure Ländereien in der Baronie von Calry zurück, die Euch genommen wurden, als Ihr in den Norden geschickt wurdet, und ihnen hinzu füge ich den Titel und das Land, welches zuvor von Baldwin de la Troville regiert wurde. Eure Dienste gefallen uns wohl. Baldwin de la Troville, wir benötigen Eure Dienste. Da wir Euer Amt, die Junkerschaft von Marlsbourough, soeben an du Masigny vergeben haben, möchten wir Euch in ein anderes Amt einsetzen. Werdet Ihr die Stelle als Kommandant in Hohe Burg annehmen?«

De la Troville sagte: »Ja, Sir, obwohl ich, wenn es der Krone gefiele, den Winter gern im Süden verbringen würde, sowohl in diesem als auch in den folgenden Jahren.«

Die Menge lachte, und Lyam sagte: »Das sei Euch gestattet, denn wir verleihen Euch zudem die Titel, die einst Armand de Sevigny innehatte. Erhebt Euch, Baldwin, Baron von Hohe Burg und Gyldenholt.« Er wandte sich Armand de Sevigny zu und sagte: »Für Euch haben wir andere Pläne, mein Freund. Der frühere Herzog von Bas-Tyra soll nach vorn gebracht werden.« Wachen in den Farben des Königs kamen mit Guy du Bas-Tyra, den sie halb eskortierten und halb aus dem Pavillon des Königs hereintrugen, wo er zusammen mit Amos Trask im Krankenbett gelegen hatte. Als Guy neben dem knienden Armand stand, sagte der König: »Guy du Bas- Tyra, Ihr wurdet als Verräter verfolgt und aus dem Reich verbannt, auf daß Ihr bei Todesstrafe dieses Land nie wieder betreten solltet. Wir sehen ein, der Grund Eurer Rückkehr ließ Euch keine andere Wahl.« Er warf Arutha einen Blick zu, und der lächelte kläglich. »Wir heben hiermit das Urteil der Verbannung auf. Nun, so gibt es immer noch das Problem mit dem Titel. Wir verleihen das Amt des Herzogs von Bas-Tyra an jenen Mann, den unser Bruder Arutha für den fähigsten hält. Armand de Sevigny, wir ernennen Euch hiermit zum Herzog von Bas-Tyra, mit allen Rechten und Pflichten, die dieses Amt beinhaltet. Erhebt Euch, Herzog Armand de Sevigny.«

Lyam wandte sich Guy zu. »Auch ohne Euer ererbtes Amt glauben wir, daß wir Euch weiterhin beschäftigen müssen. Kniet nieder!« Armand half Guy auf die Knie. »Guy du Bas-Tyra, in Anbetracht Eurer tiefen Sorge um das Königreich, aus dem Ihr verbannt wurdet, und in Anbetracht Eurer Tapferkeit bei der Verteidigung von Armengar und des Königreichs bieten wir Euch das Amt des Königlichen Kanzlers und Ersten Ratgebers des Königs an. Wollt Ihr dieses Amt annehmen?«

Guy machte große Augen, dann lachte er. »Das ist doch ein Witz, Lyam. Euer Vater wird sich in seiner Gruft umdrehen. Ja, ich nehme an.«

Der König schüttelte den Kopf, lächelte und dachte an seinen Vater. »Nein, ich glaube, er würde das verstehen. Erhebt Euch, Guy, Herzog von Rillanon.«

Als nächstes sagte Lyam: »Baru von den Hadati.« Baru ließ Laurie, Martin und Briana stehen und kniete vor dem König nieder. »Eure Tapferkeit ist ohnegleichen, sowohl bei der Vernichtung des Moredhel Murad als auch bei der Führung unseres Bruders Martin und des Herzogs Laurie durch die Berge, als Ihr uns vor Murmandamus' Überfall gewarnt habt. Wir haben lange darüber nachgedacht, welche Belohnung wir Euch anbieten dürfen. Was können wir tun, um unserem Gefallen an Euren Diensten Ausdruck zu verleihen?«

Baru sagte: »Majestät, ich verlange nach keiner Belohnung. Jetzt, wo so viele neue Angehörige meines Volkes nach Yabon kommen, möchte ich mich dorthin zurückziehen, wenn ich darf.«

Lyam sagte: »Dann geht mit unserem Segen, und sollte irgend etwas in unserer Macht stehen, womit wir die Wiederansiedlung Eurer Brüder unterstützen können, müßt Ihr nur danach fragen.«

Baru erhob sich und ging zurück zu seinen Freunden, die ihn allesamt anstrahlten. Baru hatte eine neue Heimat und sein Leben bekam einen neuen Sinn.

Weitere Belohnungen wurden vergeben, und die Audienz dauerte an. Aruthas Gedanken blieben nicht bei der Sache, er wünschte, Anita könnte hier bei ihm sein, doch er wußte, in einigen Tagen wäre er wieder bei ihr. In einiger Entfernung sah er Macros mit Pug und Tomas sprechen. Die drei Gestalten standen im Schatten. Der Tag ging seinem Ende zu, bald würde es Abend sein. Arutha seufzte erschöpft und fragte sich, welche Sache die drei Männer beschäftigte.

 

Macros fragte: »Das versteht Ihr also?«

Pug sagte: »Ja, aber es ist trotzdem schwierig.« Er brauchte nicht mehr zu sagen. Er hatte alles Wissen erfahren, als er mit dem Zauberer verbunden gewesen war. Jetzt war er Macros in seinen Fähigkeiten ebenbürtig, und das gleiche galt für sein Wissen. Doch er würde den Zauberer vermissen, nun, wo er dessen Schicksal kannte.

»Alle Dinge enden irgendwann, Pug. Und nun endet meine Zeit auf dieser Welt. Nachdem wir die Valheru besiegt haben, habe ich all meine Kräfte zurückgewonnen. Gathis wird mich begleiten, und für die anderen auf meiner Insel werde ich sorgen, damit ich hier keinerlei Verpflichtungen mehr habe. Ich muß weiterziehen, genauso wie Ihr hierbleiben müßt. Könige werden Euren Rat brauchen, kleine Jungen Euren Unterricht, alte Männer werden sich mit Euch streiten wollen, Kriege werden verhindert oder ausgetragen werden müssen.« Er seufzte, als wünschte er sich abermals die letzte Erlösung. Dann klang er erleichtert. »Trotzdem, es wird niemals langweilig. Seid sicher, der König weiß, was wir hier geleistet haben.« Er betrachtete Tomas. Der Mensch, der zum Valheru geworden war, sah seit dem letzten Kampf irgendwie anders aus, und Macros sagte leise: »Tomas, die Eldar werden schließlich ihr selbstgewähltes Exil in Elvardein verlassen und nach Hause zurückkehren. Die Königin wird Euch brauchen, wenn sie das neue Elvandar regieren soll. Viele der Glamredhel werden kommen, nun, wo sie wissen, daß Elvandar existiert, und auch viele Moredhel werden wiederkehren, so vermute ich jedenfalls. Nachdem die Valheru in ihre Grenzen verwiesen wurden, wird der Dunkle Pfad nicht mehr so stark sein. Zumindest dürfen wir das hoffen. Geht in Euch, denn ich glaube, auch Ihr werdet von Eurer Macht verloren haben, nachdem das Geschlecht von Ashen-Shugar gegangen ist. Ihr werdet immer noch zu dem mächtigsten Sterblichen gehören, doch an Eurer Stelle würde ich nicht versuchen, die Drachen zu beherrschen. Ich glaube, sie würden Euch erschrecken.«

Tomas sagte: »Ich habe die Veränderung selbst bemerkt ... letztlich. Bin ich nun wieder ein Sterblicher?«

Macros nickte: »Das wart Ihr immer. Die Macht des Valheru hat Euch verändert, und diese Veränderung kann nicht wieder rückgängig gemacht werden, doch unsterblich wart Ihr nie. Ihr wart nur nahe daran. Aber macht Euch keine Sorgen, vom Erbe des Valheru habt Ihr einen großen Teil behalten. Ihr werdet lange an der Seite Eurer Königin leben, zumindest solange, wie es den Elben vom Schicksal her zugebilligt wird.« Bei diesen Worten schien Tomas wieder Mut zu fassen.

»Bleibt wachsam, alle beide, denn die Pantathianer haben diese Unternehmung über Jahrhunderte geplant, bis in die kleinste Einzelheit hinein. Und die Mächte, die jener innehatte, der sich als Murmandamus ausgab, waren nicht die Illusionen eines Geisterbeschwörers. Er hatte wirkliche Macht. Es bedarf viel, will man ein so dunkles Volk wie die Moredhel für sich einnehmen. Vielleicht werden die Schlangenmenschen ohne den Einfluß der Valheru durch Zeit und Raum lediglich eine intelligente Art unter vielen bleiben.« Er sah in die Ferne. »Vielleicht auch nicht. Hütet Euch vor ihnen.«

Pug sagte leise: »Macros ... am Ende war ich sicher, wir hätten verloren.«

Macros lächelte rätselhaft. »Das war ich auch. Vielleicht konnte der Stein des Lebens seine Aufgabe nicht richtig erfüllen, weil Tomas sein Schwert hineingeschlagen hatte. Ich weiß es nicht. Der Spalt war geöffnet, und das Drachenheer hätte eindringen können, doch ...« Die Augen des alten Zauberer leuchteten. »Irgendein Wunder oder etwas anderes geschah, etwas, was sich meinem Verständnis entzieht, mischte sich schließlich ein.« Er sah zu Boden. »Es war das Leben an sich, die Seelen aller, die auf dieser Welt leben; sie alle zusammen haben die Valheru am Ende zurückgeschlagen. Der Stein des Lebens hat uns geholfen, nicht dem Feind. Von ihm habe ich meine Kraft genommen. Und damit habe ich das Drachenheer und den Schreckenslord gefesselt und den Spalt geschlossen. Das war es, was uns beschützt und unser Leben gerettet hat.« Er lächelte. »Ihr solltet, mit aller Vorsicht, den Stein des Lebens erforschen. Er stellt ein größeres Wunder dar, als irgend jemand je geahnt hat.«

Macros schwieg eine Weile, dann blickte er Pug an. »Ihr wart immer wie ein Sohn für mich, und nun seid Ihr der Erbe meines Wissens, welches ich angehäuft habe, seit ich zum ersten Mal nach Midkemia kam. Meine letzte Kiste mit Büchern und Pergamenten, die ich noch auf meiner Insel zurückhielt, wird bald in Stardock ankommen. Ihr solltet das Kulgan und Hochopepa erst mitteilen, nachdem Ihr sie selbst durchgeschaut habt. Einiges davon sollte auf dieser Welt niemandem in die Hände fallen, außer Euch und demjenigen, der Euch folgen wird. Seid ein guter Lehrer, Pug. Macht Eure Schüler zu mächtigen Zauberern, doch erzieht sie auch zu liebenden und gutherzigen Menschen.« Er hielt inne und sah die beiden Jungen an, die zu Männern geworden waren, diese Jungs, mit deren Erziehung zu Rettern der Welt er zwölf Jahre zuvor begonnen hatte. Endlich sagte er: »Ich habe Euch beide benutzt, und manchmal für nicht besonders schöne Aufgaben. Doch am Ende hat es sich als notwendig herausgestellt. Welche Schmerzen Ihr auch immer aushalten mußtet, sie wurden, so möchte ich meinen, durch das Gewonnene ausgeglichen. Ihr habt etwas erreicht, von dem Ihr als Jungen nicht einmal zu träumen wagtet. Ihr seid nun die Beschützer von Midkemia. Und dazu habt Ihr meinen Segen.« Seine Stimme wollte fast versagen, als er fortfuhr: »Auf Wiedersehen, und ich danke Euch.« Er ging davon, drehte sich aber noch einmal um. Weder Pug noch Tomas waren in der Lage, sich zu verabschieden. Macros wanderte in Richtung Westen davon, geradewegs in den Sonnenuntergang hinein. Er entfernte sich von ihnen, doch mit jedem Schritt schien er auch durchsichtiger zu werden, bis er bald nur noch wie ein Nebel erschien. Dann war er verschwunden.

Sie sahen ihm hinterher und schwiegen eine Zeitlang. Dann fragte Tomas: »Ob er jemals Frieden finden wird?«

Pug erwiderte: »Ich weiß es nicht. Vielleicht wird er eines Tages seine Gesegneten Inseln finden.«

Wieder schwiegen sie. Schließlich kehrten sie in den Pavillon des Königs zurück.

 

Die Feier war in vollem Gange. Martin und Briana hatten ihre Heiratspläne bekanntgegeben, und alle hatten sie dazu beglückwünscht. Jetzt, während die anderen ausgelassen ihr Überleben feierten und sich der unbeschränkten Lebensfreude hingaben, suchten sich Arutha, Lyam, Tomas und Pug einen Weg durch die Ruinen von Sethanon. Die Bevölkerung war im westlichen Teil der Stadt untergebracht worden, und man hörte die Menschen nur schwach aus der Ferne. Dennoch bewegten sie sich vorsichtig, aus Furcht, von jemandem beobachtet zu werden.

Tomas führte sie durch einen breiten Spalt in der Erde zwischen dem Schutt der Festung in etwas hinein, das wie ein Höhleneingang aussah. »Hier«, sagte Tomas, »hat sich eine Spalte aufgetan, die in die darunterliegende Kammer führt, in die Mitte der alten Stadt. Seid vorsichtig.«

Langsam stiegen sie hinunter, wobei sie bei dem Licht, das Pug magisch erzeugt hatte, nur wenig sehen konnten, und bald betraten sie die Halle. Pug machte eine Geste mit der Hand, und es wurde heller. Tomas bedeutete dem König, er solle vorgehen. Aus dem Schatten traten Gestalten in langen Roben hervor, und Arutha zog sein Schwert.

Eine Frauenstimme ertönte aus der Dunkelheit. »Senkt Euer Schwert, Prinz des Königreichs.«

Tomas nickte, und Arutha schob das magische Schwert in die Scheide zurück. Aus der Dunkelheit kam eine riesige Gestalt auf sie zu und das Licht, das Pug erzeugt hatte, tanzte über die Facetten von Myriaden von Juwelen und Brillanten. Es war ein Drache, doch einer, wie ihn noch nie jemand gesehen hatte, denn anstelle seiner einst goldenen Schuppen glänzten Tausende von Edelsteinen. Jede Bewegung dieses gigantischen Wesens rief einen Regenbogen von atemberaubender Schönheit hervor.

»Wer seid Ihr?« fragte der König ruhig.

»Ich bin das Orakel von Aal«, entgegnete die leise Stimme des Drachen.

»Wir haben eine Abmachung getroffen«, erklärte Pug. »Schließlich mußten wir einen geeigneten Körper finden.«

Tomas ergänzte: »Ryath blieb bewußtlos zurück, denn der Schreckenslord hatte ihr die Seele gestohlen. Doch ihr Körper lebte noch, obwohl sie schwerverletzt und dem Tode nahe war. Macros hat sie geheilt und die zerstörten Schuppen mit den Edelsteinen aus dem Schatz ersetzt, der hier versteckt war, und er benötigte auch einen großen Teil vom Stein des Lebens. Als sie soweit wiederhergestellt war, haben wir das Orakel und seine Diener hierhergeholt. Und nun kann das Orakel in einer leeren Seele wohnen.«

»Dieser Körper ist mir nicht nur sehr angenehm«, sagte das Orakel, »er wird zudem noch viele Jahrhunderte leben. Und er besitzt die verschiedensten Kräfte.«

»Und«, fügte Pug hinzu, »das Orakel wird für alle Zeiten über den Stein des Lebens wachen. Denn wollte sich irgend jemand über ihn hermachen, würde es mit dem ganzen Planeten zusammen verschwinden. Und bis wir einen Weg gefunden haben, wie wir mit den Pantathianern fertig werden, besteht weiterhin das Risiko, daß die Valheru zurückgerufen werden könnten.«

Lyam betrachtete den Stein des Lebens. Der blasse, grüne Edelstein glühte schwach, und in ihm schien ein warmes Licht zu pulsieren. Aus seiner Mitte stak das goldene Schwert hervor. »Wir wissen nicht, ob dieses Schwert die Drachenlords vernichtet oder zumindest verbannt hat«, sagte Pug. »Selbst mit all der Magie, die ich von Macros gelernt habe, kann ich in dieses Geheimnis nicht eindringen. Wir haben Angst davor, Tomas' Schwert wieder herauszuziehen, denn selbst, wenn dann eigentlich nichts weiter geschähe, könnte es auf der anderen Seite alles entfesseln, was in diesem Stein gefangen ist.«

Lyam erschauerte. Er hatte schon viel gesehen, doch dem Stein des Lebens und seiner Macht gegenüber fühlte er sich hilflos. Er trat an ihn heran und streckte langsam die Hand aus. Der Stein war warm und strahlte etwas angenehm Entspannendes aus. Als er ihn berührte, erfüllte den König ein Gefühl der Wahrheit. Der König wandte den Blick der mächtigen, juwelenbesetzten Gestalt des Drachen zu. »Ich habe keine Bedenken dagegen, daß Ihr hier Wache haltet, Lady.« Er dachte nach, dann sagte er zu Arutha: »Verbreitet das Gerücht, die Stadt sei verflucht. Der tapfere kleine Humphry ist tot, und er hat keine Erben. Ich werde die verbliebene Bevölkerung an einem anderen Ort ansiedeln und ihr eine angemessene Entschädigung zahlen. Die Stadt ist sowieso schon mehr als zur Hälfte zerstört. Verlassen wir sie also lieber, damit niemand mehr das Orakel stört. Und nun wollen wir zurückgehen, bevor wir bei der Feier vermißt werden und jemand nach uns sucht.« Zu dem Drachen sagte er: »Lady, ich wünsche Euch alles Gute in Eurem Amt. Solltet Ihr irgend etwas bedürfen, so sendet mir eine Nachricht, sei sie magischer oder weltlicher Natur, und ich werde Eure Bitte zu erfüllen suchen. Nur wir vier und mein Bruder Martin kennen die Wahrheit über Euch, und eines Tages vielleicht unsere Erben.«

»Ihr seid sehr großzügig, Majestät«, antwortete das Orakel.

Tomas führte sie aus der Höhle und wieder nach oben an die Oberfläche.

 

Arutha betrat sein Zelt und ärgerte sich bei dem Anblick, den er vorfand: Jimmy schlief in seinem Bett. Er schüttelte den Jungen sanft. »Was hat das zu bedeuten? Ich dachte, du hättest ein eigenes Quartier?«

Jimmy sah den Prinzen mit schlecht verhohlener Verdrießlichkeit an, als er geweckt wurde. »Es ist wegen Locky. Die ganze Welt bricht über uns zusammen, und er findet ein neues Mädchen. Langsam wird das bei ihm zur Gewohnheit. Letzte Nacht habe ich auf dem Boden geschlafen. Ich konnte mir gerade noch eine Decke schnappen. Naja, ich werde schon eine andere Stelle zum Schlafen finden.«

Arutha lachte und schob den Jungen, der gerade aufstehen wollte, ins Bett zurück. »Bleib hier. Ich schlafe im Pavillon des Königs. Lyam hatte heute abend fleißig Belohnungen verteilt, während du geschlafen hast und Locky ... was auch immer er gemacht hat. In der ganzen Aufregung habe ich euch beide vollkommen vergessen. Wie kann ich euch zwei Halunken belohnen?«

Jimmy grinste. »Ihr könntet Locky zum Ersten Junker machen, dann würde ich mich wieder in mein sicheres und ruhiges Leben als Dieb zurückziehen.« Er gähnte. »Im Moment kann ich allerdings an nichts anderes denken als an eine Woche Schlaf.«

Arutha lächelte. »Gut. Schlaf dich aus. Mir wird schon etwas für euch einfallen.« Er ließ Jimmy allein und machte sich zu Lyams Zelt auf ...

Als er sich dem Eingang näherte, fuhr gerade, von einem Trompetenstoß begleitet, ein staubbedeckter Wagen mit dem fürstlichen Wappen heran. Rasch stiegen Anita und Carline aus.

Arutha war verblüfft, als seine Frau und seine Schwester auf ihn zurannten und ihn küßten. »Was ist jetzt los?«

»Wir sind Lyam hinterhergefahren«, sagte Anita unter Tränen. »Wir konnten es in Rillanon nicht mehr aushalten, ohne zu wissen, ob du und Laurie noch am Leben seid. Sobald die Nachricht eintraf, daß es euch gut geht, sind wir sofort aufgebrochen und hierher geeilt.«

Arutha umarmte sie, während Carline einer Stimme lauschte, die ein Lied sang. »Entweder ist das eine Nachtigall, oder mein Gatte hat vergessen, daß er neuerdings ein Herzog ist.« Sie küßte Arutha noch einmal auf die Wange. »Du wirst bald wieder Onkel.«

Arutha lachte und umarmte seine Schwester. »Viel Liebe und Glück, Carline. Ja, es ist Laurie, der da singt. Er und Baru sind heute mit Vandros angekommen.«

Sie lächelte. »Ich werde mal gehen und dafür sorgen, daß er ein paar graue Haare bekommt.«

Arutha fragte: »Was meint sie mit ›wieder‹ ?«

Anita blickte ihrem Gatten ins Gesicht. »Die Königin trägt ein Kind unter dem Herzen - das wurde erst verkündet, als du schon fortgezogen warst -, und Vater Tully läßt Lyam ausrichten, alle Anzeichen deuteten auf einen Prinzen hin. Tully meinte, er sei zu alt für eine beschwerliche Reise. Doch seine Gebete haben euch die ganze Zeit begleitet.«

Arutha grinste. »Dann bin ich also meinen Prinzentitel bald los.«

»So bald nun auch nicht. Das Kind wird erst in vier Monaten geboren.«

Carline hatte ihrem Mann offensichtlich die Nachricht ihrer Schwangerschaft überbracht, das verriet ein plötzlicher Jubelschrei, und ein zweiter verkündete, daß auch Tullys Nachricht angekommen war.

Anita umarmte ihren Gatten und flüsterte: »Deinen Söhnen geht es gut, und sie werden immer größer. Sie vermissen ihren Vater. Und ich auch. Können wir uns nicht einfach verdrücken.«

Arutha lachte. »Sobald wir Lyam unsere Aufwartung gemacht haben. Nur leider habe ich mein Bett Jimmy überlassen. Es scheint, als hätte Locklear eine amouröse Ader entwickelt, und Jimmy wußte nicht, wo er sonst hin sollte. Also werden wir wohl eines der Zelte für die Gäste nehmen müssen.« Er ging mit seiner Frau in den Pavillon von Lyam, und die versammelten Adligen erhoben sich und entboten dem Prinzen und der Prinzessin von Krondor ihren Gruß.

Der Keshianische Botschafter, Lord Hazara-Khan, verneigte sich, und Arutha streckte ihm die Hand entgegen. »Ich danke Euch, Abdur.« Er stellte Anita Hokanu vor und dankte auch ihm. Dolgan unterhielt sich mit Galain, und Arutha gratulierte dem Zwerg, der den Königstitel der Zwerge des Westen angenommen hatte. Dolgan zwinkerte ihm zu und lächelte, dann schwiegen alle, als Laurie zu spielen begann.

Alle hörten aufmerksam zu, während Laurie sang; es war ein trauriges Lied, eine Ballade, die er zur Ehre seines Freundes Roald geschrieben hatte. Das Lied erzählte von dem Kummer, den Laurie beim Tod seines Freundes verspürt hatte, doch am Ende wechselte es nach Dur, verkündete seinen letztlichen Triumph, und bei der kleinen neckischen Koda mußten alle lachen, die Roald gekannt hatten, denn Laurie hatte wunderbar auf seine manchmal etwas rüpelhafte Art angespielt.

Dann kamen Gardan und Volney nach vorn, und der Graf von Landreth fragte: »Wenn ich Euch vielleicht Euren Gemahl kurz entführen dürfte, Hoheit?«

Anita nickte zustimmend, und Arutha führte die beiden Männer, die in seiner Abwesenheit für ihn regiert hatten, in einen Raum neben der Kammer des Königs. Auf dem Bett lag eine stämmige Gestalt und atmete schwer, und Arutha legte den Finger auf die Lippen und mahnte die beiden anderen, leise zu sein.

Gardan reckte den Hals und flüsterte Arutha ins Ohr: »Amos Trask?«

Arutha erwiderte leise: »Es ist eine lange Geschichte, und er soll sie Euch lieber selbst erzählen. Sonst würde er mir niemals verzeihen. Nun, was gibt es?«

Mit gedämpfter Stimme sagte Volney: »Hoheit, ich möchte nach Landreth zurückkehren. Nachdem Euer angeblicher Tod verkündet wurde, läßt sich Krondor schlechter verwalten als ein Stall voller Ratten. Ich habe während der letzten drei Jahre mein Bestes getan, doch jetzt ist es genug. Ich möchte nach Hause.«

Arutha sagte: »Ich kann Euch nicht entbehren, Volney.« Der stämmige Graf wollte die Stimme heben, doch Arutha machte »Psst! Seht einmal, es wird bald einen neuen Prinzen von Krondor geben, und dann brauchen wir einen Regenten.«

Volney sagte: »Das ist unmöglich. Das wäre eine Aufgabe für weitere achtzehn Jahre. Davon nehme ich in aller Form Abstand.«

Arutha sah Gardan an, und der grinste und hielt die Hände in die Höhe. »Seht mich nicht an. Lyam hat mir versprochen, ich dürfe mit Martin und seiner Gemahlin nach Crydee zurückkehren. Da Charles dort jetzt der neue Schwertmeister ist, kann ich meinem Sohn das Soldatenhandwerk überlassen. Ich habe vor, meine letzten Tage auf dem Wellenbrecher von Langer Punkt beim Fischen zu verbringen. Ihr werdet Euch um einen neuen Feldmarschall bemühen müssen.«

Arutha fluchte. »Das bedeutet, falls ich nicht bald jemanden finde, wird Lyam mich erst zum Herzog von Krondor und dann auch noch zum Feldmarschall ernennen. Ich hatte gehofft, er würde mir eine der ruhigen Grafschaften wie Tucksberg überlassen, wohin ich mich zurückziehen könnte und mein Heim niemals wieder verlassen müßte.« Er dachte angestrengt nach und sagte dann: »Ich will Euch beide weitere zehn Jahre.«

»Auf gar keinen Fall!« sagte Volney Der stämmige Adlige hob die Stimme vor Entrüstung. »Ich würde vielleicht noch ein Jahr bleiben, um meinen Nachfolger in die Verwaltung einzuführen, doch keinen Augenblick länger.«

Arutha kniff die Augen zusammen. »Sechs! Sechs Jahre. Ihr beide. Wenn Ihr zustimmt, könnt Ihr Euch, Volney, danach nach Landreth zurückziehen, und Ihr, Gardan, nach Crydee. Wenn nicht, werde ich schon eine Möglichkeit finden, wie ich das Ganze noch mehr in die Länge ziehen kann.«

Gardan lachte. »Ich habe bereits Lyams Erlaubnis, Arutha.« Er sah, wie der Prinz immer verärgerter wurde, und sagte daher: »Aber wenn Volney ja sagt, bleibe ich ebenfalls noch ein Jahr - na gut, zwei, aber kein einziges mehr, und nur solange, bis Ihr alle Angelegenheiten geregelt habt.«

Aruthas Augen blitzten fast bösartig. An Gardan gewandt sagte er: »Wir werden einen Botschafter am Hofe der Tsurani brauchen, jetzt, wo der Spalt wieder offen ist«, und an Volney gewandt, fuhr er fort: »Und auch in Groß-Kesh brauchen wir einen neuen Diplomaten.«

Die beiden Männer wechselten einen Blick, und Volney zischte zurück: »Also gut, Ihr Erpresser, drei Jahre. Was sollen wir in diesen drei Jahren machen?«

Arutha lächelte schräg. »Ich möchte, daß Ihr persönlich den Unterricht von Jimmy und Locklear übernehmt, Volney Ihr werdet ihnen alles über Verwaltung beibringen, was Ihr wißt. Überhäuft sie mit Arbeit, bis sie nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht, und dann gebt ihnen noch Aufgaben obendrein. Diese beiden Strolche sollen später zu etwas nütze sein. Macht die allerbesten Verwalter aus ihnen.

Gardan, und wenn sie keinen Unterricht haben, werdet Ihr sie zu Soldaten machen. Dieser junge Bandit hat mich vor Jahren um eine Belohnung gebeten, und jetzt soll er zeigen, ob er dazu auch taugt. Und sein junger Spießgeselle hat zuviel Talent, als daß man ihn einfach nach Endland zurückschicken könnte. Wenn Ihr beide geht, werden wir einen neuen Herzog und einen neuen Feldmarschall brauchen, und wenn ich mich ebenfalls zurückgezogen habe, auch noch einen Prinzregenten; und der wird später ein fähiger Kanzler sein müssen, der dem Prinzen die Last des Amtes tragen hilft. Also, ich möchte, daß die beiden in den nächsten vier Jahren keine freie Minute haben.«

»Vier Jahre?« schrie Volney »Ich sagte drei!«

Dann hörte man vom Bett her ein Glucksen, und Amos sagte: »Arutha, Ihr habt eine seltsame Vorstellung von Belohnung. Was hat Euch denn zu diesem hinterhältigen Sinneswandel bewogen?«

Arutha grinste breit und erwiderte: »Gönnt Euch doch noch etwas Ruhe, Admiral.«

Amos sank zurück auf die Pritsche. »Ach, Arutha, Ihr könnt einem aber auch das letzte bißchen Freude im Leben nehmen.«